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Die begriffliche Unterscheidung der (die Insolvenzantragsplicht auslösende) Zahlungsunfähigkeit von der (grundsätzlich folgenlosen) Zahlungsstockung bereitet nach wie vor Schwierigkeiten in der Praxis.
Aus Gesetz und Rechtsprechung lässt sich die Definition von Zahlungsunfähigkeit ableiten. Im Unterschied zur deutschen Insolvenzordnung (§17 dInsO) enthält die IO keine akkurate Begriffsbestimmung der Zahlungsunfähigkeit. Vom Gesetzgeber wird dies mit der fehlenden Notwendigkeit und dem Hinweis auf die von der Lehre bereits ausgearbeiteten Definitionskriterien begründet. Ein weiterer wesentlicher Grund für die offene Formulierung liegt an der ausbleibenden Einschränkung in der Rechtsentwicklung und somit in der Aufrechterhaltung der notwendigen Elastizität im Einzelfall.
Nach § 66 Abs 2 IO lässt sich lediglich folgender Hinweis entnehmen: „Zahlungsunfähigkeit ist insbesondere anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen einstellt.“ Ein Gläubigerandrängen ist laut § 66 Abs 3 IO keine Voraussetzung für den Insolvenztatbestand der Zahlungsunfähigkeit. Folglich müssen nicht zwingend Mahnungen, Klagseinbringungen oder Exekutionstitel vorliegen. Gleichzeitig kann Zahlungsunfähigkeit nicht durch teilweise Befriedigung der Gläubiger ausgeschlossen werden. Anhängende Exekutionen oder außergerichtliche Ausgleichsangebote können jedoch Indikatoren für eine Zahlungsunfähigkeit darstellen.
Nach der Judikatur des OGH (GZ 3Ob99/10w mit Entscheidungsdatum vom 19.01.2011) werden zwei Voraussetzungen für das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit genannt:
1. „Zahlungsunfähigkeit […] liegt vor wenn der Schuldner mehr als 5% aller fälligen Schulden nicht begleichen kann.“ Als Umkehrschluss gilt, dass von Zahlungsfähigkeit des Schuldners ausgegangen werden kann, wenn dieser in der Lage ist, zumindest 95% aller fälligen Schulden zu bezahlen. Für die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit werden lediglich die bereits fälligen Schulden berücksichtigt. Die Zahlungsunfähigkeit wird als „Zeitpunkt-Illiquidität“ interpretiert und unterscheidet sich somit von der drohenden Zahlungsunfähigkeit.
2. Zahlungsunfähigkeit setzt zudem einen nicht bloß vorübergehendes Zahlungsunvermögen voraus: „Dem Anfechtungsgegner steht […] der Gegenbeweis über das Vorliegen bzw die Wahrscheinlichkeit einer bloßen Zahlungsstockung zum Anfechtungszeitpunkt offen.“ Die Zahlungsunfähigkeit unterscheidet sich - durch das Kriterium der Dauer des Nichtzahlenkönnens - von der (insolvenzrechtlich nicht relevanten) Zahlungsstockung.
In der Rechtsprechung (gleiche GZ s.o.) wird Zahlungsstockung wie folgt definiert: „Eine Zahlungsstockung liegt vor, wenn eine ex-ante-Prüfung ergibt, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestand, dass der Schuldner in einer kurzen, für die Beschaffung der benötigten Geldmittel erforderlichen […]Frist alle seine Schulden pünktlich zu zahlen in der Lage sein wird.“ Die OGH stellt dabei auf einen im Durchschnittsfall dezidierten Zeitraum von drei Monaten ab, in welchem bspw. Umschuldungen vorzunehmen sind, Vermögensobjekte verkauft werden oder Gesellschafterdarlehen vereinbart werden sollen. Das Überschreiten des zeitlichen Höchstmaßes bzw. eine längere Frist setzt die Beseitigung des Liquiditätsengpasses voraus.
Die exakte Bestimmung der zeitlichen Grenze zwischen einem kurzfristigem und einem langfristigen Zahlungsunvermögen ist dabei umstritten. Die überwiegende Meinung geht von einer einzelfallbezogenen Orientierung an der jeweiligen Verkehrsauffassung aus. (z.B. ist ein Wechsel i.d.R. unverzüglich zu bezahlen wohingegen mit manchen Lieferanten u.U. auch eine längerfristige Stundung vereinbart werden kann.)
Bild: © Martin Green - Fotolia